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Dalal - Kopftuchmädchen Media (Teil 2/2)

  • Autorenbild: R
    R
  • 12. Juli 2021
  • 9 Min. Lesezeit

Wegen freier Religionsausübung?


Richtig.

Das Problem ist ja auch, wenn eine Frau nicht Beamtin werden möchte, wenn sie nicht mal in diesen Berufszweig einsteigen will, was sagt das mir als muslimische kopftuchtragende Frau? Welches Signal sendet das? Wir reden hier von Symbolpolitik. Wir brauchen gar nicht erst anfangen „Du willst doch eh nicht Beamtin werden“, darum geht es gar nicht. Es geht erst mal darum, dass ich mir gar nicht erst erträume, überhaupt Beamtin zu werden. Und dann, dass man anscheinend etwas ausziehen muss und dann ein anderes Mindset hat. Das ist total unlogisch und ergibt überhaupt keinen Sinn. Man sollte Leute wegen ihrem Mindset einstellen. Wenn jemand cool drauf ist, dann stellst du ihn ein, wenn jemand scheiße drauf ist, dann weg, egal wie er aussieht. Dann passt du halt nicht zu dem Beruf. Für mich hat das was mit Professionalität zu tun und nicht mit religiöser Angehörigkeit. Wenn du einen Beruf machst, dann musst du darin auch gerecht und fair sein und eine gewisse Professionalität an den Tag legen. Sobald ein Polizist zum Beispiel jemanden festnimmt, weil ihm das Gesicht nicht gefällt, muss er kein Nazi – Tattoo haben. Da sollte eher hinterfragt werden, ob er nicht gekündigt werden sollte.


Ohne die Handlungen zu legitimieren, aber glaubst du, dass bei den Politiker*innen auch eine gewisse „Angst vor dem Unbekannten“ dabei ist?


Ich glaube, Angst ist es nicht. Wenn wir über das Thema Rassismus sprechen, sprechen wir auch immer über Macht. Wenn eine marginalisierte Gruppe an eine bestimmte Position kommt, bei der sie ziemlich sichtbar ist und sie dann nicht versucht, sich zu assimilieren, sondern so bleibt wie sie ist, dann verändert das erst mal das gesellschaftliche Bild. Da merkt man erst „Ach cool, wir sind eine diverse Gesellschaft, in der es auch andere Menschen schaffen aufzusteigen.“ Aber damit hat man eben eine Machtposition, die nicht allen gefällt. Eine Beamtin kann nicht so leicht gekündigt werden – solche Privilegien werden einer bestimmten Gruppe von Menschen aufgrund eines Kleidungsstils abgesprochen.

Eines der ersten Sachen, die während des Holocausts gemacht wurden, war nicht nur das Boykottieren der jüdischen Geschäfte, es war auch die jüdischen Beamtinnen und Beamten zu entlassen. Das ist eines der ersten Sachen, die passiert sind. Das sind Mechanismen und von denen müssen wir lernen.

Aber das ist das, was mit Macht passiert. Die Jüd*innen wurden entlassen und jetzt wird eine bestimmte Personengruppe gar nicht erst an bestimmte Positionen gelassen.


Wie reagieren Menschen auf das, was du machst?


Überwiegend positiv. Es gibt auch muslimische Männer, die das voll feiern und uns sagen, wie gut wir das machen. Da ist der Support auch voll da und das ist wichtig. Das ist auch etwas, was oft bei Feminismus allgemein falsch verstanden wird: Wir brauchen euch, Männer. Wir brauchen euch Männer, um das durchzukriegen, weil ihr einfach machttechnisch am längeren Hebel seid, auch wenn manche Männer das nicht glauben.

Wir setzen und zum Beispiel auch dafür ein, dass Frauen in Moscheen mehr Möglichkeiten haben, in die Moschee zu gehen, dass die Räumlichkeiten auch so sind, dass man gerne in die Moschee geht. Das ist ein Thema was sehr tricky ist innerhalb der muslimischen Community. Aber wir wollen auch wirklich Tabuthemen ansprechen, das heißt aber nicht, dass wir gegen Männer sind. Ganz im Gegenteil, wir brauchen eure Hilfe, denn so sollte das nicht sein. Und da gibts auch keinen religiösen Background warum das so ist, da ist einfach ein krasser Missstand, der nicht so sein dürfte.

Besonders wenn kopftuchtragende Frauen, die in der Mehrheitsgesellschaft viel Rassismus erleben, empfinden sie oft die Moschee als einen safe space, wo sie ihre Religion praktizieren können, beten können und da dieses Spirituelle suchen. Wenn sie dann noch mal so eine Ablehnung in Richtung Sexismus erleben… Ich denke, das muss echt nicht sein.

Es ist viel Druck, was muslimische kopftuchtragende Frauen hier in Deutschland wirklich erleben. Und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir diese Arbeit fortführen. Die können wir aber nur fortführen, wenn wir ein bisschen Unterstützung von der Community bekommen. Aber wir haben gemerkt, die Unterstützung ist auf jeden Fall da. Ich kann es halt nicht dauerhaft so machen. Ich arbeite seit einem Jahr ehrenamtlich daran, irgendwann möchte man auch mal ein bisschen mehr Geld haben zum Leben. Aber ja, es ist eine Sache, die wir mit Männern machen wollen. In letzter Zeit erhalten wir auch immer mehr Support von der muslimischen männlichen Community.


Was macht euren Content so besonders?


Wir benutzen unsere Sprache, das heißt, wir verstellen uns nicht oder denken, wir müssen erklären, was Salam alaikum heißt.

Unser Content ist sehr authentisch. Es ist wie ein Gespräch, was ich mit Fatima tatsächlich so führen würde. Man bekommt einen richtigen Insider – Blick und ich glaube, das könnte für jemanden, der gar nicht in der muslimischen Community ist, interessant sein. Unsere Community ist größtenteils muslimisch und ich kann mir vorstellen, dass es sehr empowerned für sie ist zu sehen, dass wir unsere Sprache auch im öffentlichen Raum benutzen. Ich glaube, das macht was.

Wir haben auch einen Podcast, der heißt Küss mich, Kismet. Da gehts um muslimisches Dating, noch mal ein bisschen was anderes. Und da haben wir auch mega inside-mäßig gesprochen. Und es war so witzig: Unsere Zielgruppe sind ja muslimische Singles und unser größter Fan war eine weiße Frau, die einen Freund hatte. Und das ist es halt, diese Insider – Infos bekommt man so sonst nirgendwo.


Wo kann man euch hören?


Überall wo’s Podcasts gibt. Spotify, Deezer...


Wo siehst du denn Chancen und Grenzen?


Wir haben eine immer stärker werdende rechte Tendenz, auch mit diesem neuen Gesetz, aber wir versuchen positiv zu bleiben. Es gibt Sachen, die scheiße sind und diese müssen wir auch benennen, aber wir dürfen dann keinen blinden Fleck am anderen Auge haben. Deswegen glaube ich, dass es bei diesem Gesetz wichtig ist, dass man immer wieder nachbohrt, dass man dadurch deutlich machen kann, was für ein heftiges Problem wir haben. Ich glaube, auch wenn es nicht mehr so niedrigschwellig ist, wie es Jahrzehnte vorher war, kann man es besser fassen. Du musst dir überlegen, die Politik sagt, wir haben kein Rassismus Problem, dabei gibt es nur keine Zahlen. Jetzt haben wir immer mehr Belege, und das ist wichtig, damit solche Gesetze nicht mehr durchkommen. Eigentlich müsste die ganze Gesellschaft aufschreien, wenn ein Gesetz aufgrund von Verfassungswidrigkeit nicht durchgeht.


Wie kam es eigentlich zu dem Gesetzesentwurf?


Ein Typ von der Polizei, ein Beamter, war komplett mit rechtsextremen Symbolen tätowiert. Auffällig wurde er aber aufgrund seiner Äußerungen, nicht wegen seiner Tattoos. Daraufhin wurde beschlossen, dass bestimmte Tattoos [z. B. extremistische, rassistische oder sexistische Tattoos] für Beamt*innen nicht zulässig sind. Es beläuft sich mittlerweile aber nicht nur auf Tattoos, sondern auf alle großflächigen beziehungsweise sichtbaren Zeichen der Religionszugehörigkeit und Weltanschauung.

Es ist schon ziemlich bescheuert. Sie vergleichen einen Menschen, der sehr problematisches Gedankengut hat und andere Menschen töten oder angreifen möchte, nur weil sie eine andere Sicht haben mit jemanden, der seine Religion ausübt. Was durchs Grundgesetz geschützt ist. Merkst‘e selber.

Das ist ein Anlass zum Aufschreien, zum solidarisieren uns sichtbar machen von Allies und anderen marginalisierten Gruppen. Wir glauben, dass eine gesunde Gesellschaft divers ist und wir sind ja auch schon so lange divers. Aber das künstlich wegzudrücken und nicht sichtbar machen zu wollen, außer bei Putzjobs, ist total rassistisch.

Aber es gibt, wie gesagt, auch schon viel mehr weiße Stimmen, die sich erheben und sagen „Wir haben keinen Bock da drauf.“


Mir kommt es so vor, als ob kopftuchtragende Frauen im deutschen Fernsehen auch einfach nicht repräsentiert werden, was in meinen Augen einen großen Faktor beim Thema Integration darstellt. Wie siehst du das?


Ja voll, das ist auch das, was wir machen wollen bei Kopftuchmädchen. Wir wollen Videos machen, bei denen wir nicht nur übers Kopftuch sprechen, sondern einfach über Dinge, die sie bewegen. Es muss ja auch nicht immer ums Kopftuch gehen, es gibt ja mehr in unserem Leben als ein Tuch auf dem Kopf. Das ist einfach unser Dresscode. Das ist, wie wenn jemand immer über deine Schuhe redet, nur weil es Deine Schuhe sind.

Aber kurz zu der Oberflächlichkeit: Muslimische kopftuchtragende Frauen werden auf ihr Kopftuch reduziert, obwohl der Islam aber so viel mehr ist als ein Tuch auf dem Kopf, und dieses Denken übernimmt aber die muslimische Community hier in Deutschland und reduziert sich selber darauf. Das heißt, es wird darüber gesprochen, wenn jemand anfängt, ein Kopftuch zu tragen, und wenn sie’s auszieht. Oder es wird darüber gesprochen, wie wichtig es ist, ein Kopftuch zu tragen. Da denke ich mir „Chill mal“.

Ich wurde zum Beispiel einmal in der Moschee von einer Frau angesprochen, die gerade erst zum Islam gefunden hat. Eine der ersten Fragen, die sie mir stellte, war „Wie ist das denn jetzt mit dem Kopftuch?“ Ich hab zu ihr gesagt „Entspann dich mal. Du bist gerade erst zum Islam gekommen. Im Islam gibt es fünf Säulen, nach denen man leben soll, keine von denen ist kopftuchtragen.“ – Überhaupt den Glauben zu verstehen und zu verinnerlichen ist die erste Säule. Das Gebet, Fasten, die Pilgerreise und Almosen sind die anderen. Wo ist da Kopftuch tragen? Ich sage ja nicht, dass das Kopftuch kein Teil des Islams ist, aber ich finde es traurig, dass so ein starker Fokus da darauf gelegt wird. Ich bin mehr als mein Tuch. Ich bin nicht der Islam und ich bin auch nicht perfekt. Und wenn ich einen Fehler mache, hat nicht der Islam einen Fehler gemacht, sondern ich als Person habe einen Fehler gemacht. Wenn also irgendjemand den Islam als Begründung ihrer schlechten Taten missbraucht, dann kann die Person das machen, aber dann hat sie’s nicht verstanden. Und es heißt nicht, dass so, wie die Person den Islam verstanden hat, es auch tatsächlich ist. Das ist aber was passiert. In einer Individualgesellschaft, in der jeder individuell sein darf, wird kopftuchtragenden Frauen* abgesprochen, ein Individuum zu sein.


Wie viele seid ihr gerade im Team?


Wir sind vier Leute und wollen jetzt versuchen, noch einen Content – Creator an Land zu ziehen. Wir haben so viele Ideen und gar nicht die Möglichkeiten, alles umzusetzen. Die Leute einzustellen hat ja auch viel mit Geld zu tun, du kannst ja auch nicht verlangen, dass alle ehrenamtlich arbeiten. Und dann auch zuverlässig – Lieber gebe ich der Person, die YouTube Videos schneidet, Geld und habe keine Kopfschmerzen als selbst einnahmen zuhaben.


Wie bist du zu dem Namen „Kopftuchmädchen“ gekommen? Ich habe den Begriff das erste Mal bei Alice Weidel (AfD) gehört und habe mich gefragt, ob das denn einen Bezug dazu hat.


Auf jeden Fall hat das einen Bezug. Ich habe Kopftuchmädchen ganz spontan vor ungefähr einem Jahr gegründet: Ich lag mit einer Krankschreibung zu Hause und habe eine coole Rede von Helge Lindh (SPD) im Bundestag gehört. Dabei ging es um das Thema „Kinderkopftuch“ und von da ist er auch allgemein auf das Thema „Kopftuchtragende Frauen“ eingegangen. Und er hat da so erzählt und ich dachte mir „Ja man, das ist das, was ich auch sagen wollen würde!“ Im zweiten Moment habe ich aber gedacht „Warte mal. Warum steht da keine Frau mit Kopftuch? Warum muss das ein weißer Mann sagen?“ Also cool, danke, aber irgendwie komisch. Dann bin ich auf eine Englische/Amerikanische Seite gestoßen, die heißt „Muslim Girl“. Da habe ich gesehen, dass sie unter anderem viele kopftuchtragende, aber auch allgemein muslimische Frauen porträtiert haben, und das fand ich ziemlich cool und empowerned, weil es auch Frauen aus der Politik sind. Ich dachte mir aber, dass das natürlich nur in Amerika, England und Australien funktioniert, die haben einfach einen ganz anderen Background - hier in Deutschland sind andere Bedingungen. Aber da habe ich gesagt „Nein, diese Ausrede gilt nicht. Du kennst doch voll viele krasse, inspirierende Powerfrauen.“ Und da habe ich beschlossen, dass ich auch so eine Seite mache, wirklich von einem Moment auf den anderen. Als ich überlegt habe, wie ich es angehen kann, war es mir voll wichtig, dass sie auf deutsch ist, der Inhalt sowie der Name. Ich wollte etwas, was *BOOM* ist, etwas, was den Schmerz richtig trifft, und dann dachte ich an Kopftuchmädchen. Ich hatte auch meine Bedenken, weil es ist ja schon ein bisschen risky, bisschen provozierend, aber warum eigentlich nicht? Wir können uns den Begriff aneignen und reframen und dann sagen „That’s ours“. Und wenn das nächste Mal jemand hört Kopftuchmädchen, dann wird sich vielleicht an die Seite erinnert und gedacht „Ja, das bin ich.“ Und fühlt es nicht mehr als Beleidigung, auch wenn es so gemeint war. Und das haben wir auch teilweise schon geschafft. Es gibt Frauen, die wollen, dass wir sie porträtieren, weil sie den Namen so krass finden. Manche verstehen es aber auch falsch und denken, wir wollen als Kopftuchmädchen bezeichnet werden. Wenn Frauen das selber zu sich sagen, ist das ok, aber durch den Namen haben wir auch die Verantwortung, immer wieder dran erinnern zu müssen, dass Nichtbetroffene das nicht benutzen sollen.


Wie kann man denn am besten einbringen?


Unsere Reichweite muss auf jeden Fall erhöht werden. Wir sind ja gerade in der Förderung, die wird aber nur alle drei Monate verlängert. Das heißt, wir brauchen Zahlen, um zu zeigen, dass das, was wir machen, wirklich relevant ist und die Leute interessiert. Man kann das zeigen, indem man uns auf Instagram und vor allem YouTube folgt, unsere Beiträge liked und kommentiert. Dadurch werden wir mehr angezeigt und unsere Reichweite kann sich erhöhen. Das sind alles Sachen, für die es nicht viel braucht.

Wenn man finanziell etwas dazugeben möchte, gibt es drei Mitgliedschaften, 3€, 6€ und 9€. Damit finanziert man unseren Content, aber wir wollen auch kleine Events machen, wie zum Beispiel Empowerment – Workshops zu unterschiedlichen Schwerpunkten und Social Events, wo Menschen einfach zusammenkommen können. Das ist uns wichtig, weil wir glauben, dass Austausch das A & O ist.

Wir haben ganz am Anfang, September letzten Jahres, schon mal ein Social Event gehabt. Die Energie war so krass! Wir sind alle so positiv geladen da raus gegangen. Dabei waren wir nur eine kleine Gruppe, zehn Leute vielleicht. Wir haben bald vor, das regelmäßig zu machen.

Und natürlich weitererzählen, dass ganz viele Menschen die Message erhalten.


11.06.2021


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