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Sinaya - Schilleria Mädchen*treff

Warum ist es notwendig Widerstand zu leisten? Wir haben in Deutschland immer noch Ungleichheiten zwischen Mann und Frau*, und zum Teil immer noch patriarchale Strukturen und da fängt es schon bei der Basis an - da gibt es noch viel zu tun finde ich. Das heißt bei Mädchen*arbeit, Kindern und Jugendlichen. Und deswegen ist es immer noch wichtig Widerstand zu leisten. Wie bist du dazu gekommen beziehungsweise was hat dich motiviert, aktiv zu werden? Ich bin da quasi reingeschlüpft. Ich bin damals als Kind von Mexico nach Deutschland gekommen und habe als Teenagerin versucht irgendwie zu dieser Gesellschaft dazuzugehören. Dementsprechend habe ich irgendwas gesucht was "meins" ist und habe dann in Jugendclubs angefangen Breakdance zu tanzen und zu rappen. So habe ich auch schon ziemlich früh meine ersten Tanz- und Rapkurse gegeben. Ich habe aber damals gemerkt, dass es eine sehr stark männerdominierte Szene ist, das bedeutet, dass da, wo ich getanzt habe, da gab es vielleicht 20 Männer und mich. In den 90er Jahren, als ich angefangen hatte, ich glaube in ganz Berlin drei Mädchen* die Breakdance getanzt haben und in ganz Deutschland gab es zwei Frauen* Crews. Natürlich gab es in den 80er Jahren auch schon vereinzelt Frauen* die getanzt haben und die dadurch auch die Türen langsam geöffnet haben. Auch ich hatte damals für viele andere Mädchen* und junge Frauen*, die getanzt haben, eine Türöffnerfunktion gehabt. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich in einer Szene bin, wo viele Jungs und Männer sind, worauf ich mir die Frage gestellt hatte „woran liegt das?“ – so habe ich auch sehr früh mit Empowerment Arbeit angefangen. Ich habe schon früh Tanz & Rap mit Empowerment Arbeit verknüpft und hab das auch an Tanzschulen hauptsächlich für junge Mädchen* und Frauen* gemacht und so wurde es zum Teil meines Lebens. Hast du eine Lösung auf die Frage - warum es so viele Männer und so wenige Frauen* gab - gefunden? Ja, es gab einfach nicht genügend Vorbilder, so war es bei mir auch. Wenn du keine Vorbilder hast, dann fragst du dich wahrscheinlich als Mädchen* auch nicht, ob du das auch machen könntest. Wie reagieren Menschen auf das, was du machst? Verschieden. Neulich hatte ich ein Interview für eine Person die gewerkschaftliche Arbeit macht und das fand ich interessant, weil er meinte, dass er sich diese Sozialarbeiter*innen immer so vorstellt wie hängengebliebene Erwachsene. Das heißt Menschen, die mit Cappy, Sneakers und Hoodie rumrennen und so voll jung bleiben wollen, aber dann mit 40, 45, 50 nicht mehr jung sind und dass das dann lächerlich ist. Das war zum Beispiel eine Reaktion dazu. Ich bin jetzt 37, seit 2014 arbeite ich in der Leitung der Schilleria, hab aber 2007 schon als ehrenamtliche Mitarbeiterin hier angefangen und wie gesagt, ich habe ja auch in Jugendclubs mit Rappen und Tanzen angefangen und da ist schon so ein Quäntchen Wahrheit dabei – das was ich damals in der Jugendkultur als Jugendliche gemacht habe, gebe ich weiter und ich werde mittlerweile älter, fühle mich aber gar nicht so alt. Also so ein bisschen Wahrheit ist da schon dabei. Aber ich bin der Meinung, der Punkt Mädchen*arbeit ist noch mal eine andere Sache. Ich glaube, wenn ich nicht Mädchen*arbeit machen würde, würde ich woanders feministische Arbeit machen. Die Meisten reagieren aber sehr positiv, die finden es supertoll was ich mache, was wir machen, was wir tagtäglich leisten. Wir sind auch im Kiez super gut eingebettet und auch vom Umfeld kommt immer wieder positive Rückmeldung. Wenn ich bei meiner Familie in Mexico über das erzähle, was wir machen; So langsam kommt es an. Aber als ich noch vor zwei bis drei Jahren erzählt hatte „Wir helfen Mädchen* und jungen Frauen* ein selbstbestimmtes Leben zu führen“ und auch so ein bisschen feministische Sprüche abgelassen habe, dann haben die sich natürlich voll gewundert und fanden das voll übertrieben, wir hätten ja keine Probleme und so. Was auch interessant ist. Mittlerweile ändert sich aber auch in Mexico die Gesellschaft sehr. Wo siehst du denn Grenzen beziehungsweise Chancen? Ich finde Grenzen liegen meistens in den Rahmenbedingungen, das bedeutet: knappe Ressourcen. Wenn man sich z.B. das Berliner Qualitätshandbuch für Ausstattungsstandards für Kinder- und Jugendarbeit anschaut, bräuchten wir eine Personalstelle mehr. Und das merken wir auch im Alltag. Wenn z.B. eine von uns krank ist, eine Honorarkraft fehlt oder die Ehrenamtlichen nicht da sind, sind wir sehr schnell unterbesetzt. Natürlich kann man dann qualitativ nicht mehr so gut arbeiten. Man kann beispielsweise den Mädchen* nicht die Zeit geben die sie bräuchten, um auf Probleme einzugehen oder in einer ruhigen Minute bei Gesprächen wirklich in die Tiefe zu gehen. Dann switched alles mehr in die Richtung Spiel und Bespaßen und Workshops anbieten, aber eben nicht mehr die Interessanten und wichtigen Gespräche, die es bräuchte. Wie viele Leute seid ihr gerade? Wir sind drei Festangestellte, aber wir haben alle nur Teilzeitstellen (25h, 25h, 10h). Und wenn ich sage eine Stelle mehr, meine ich eine Vollzeitstelle (40h) äquivalent mehr. Aber dafür bekommt ihr vom Staat nicht die finanziellen Mittel? Nein. Es gibt ja auch das neue Jugendförder- und Beteiligungsgesetz, wo eine Aufstockung hätte passieren müssen, um auch Qualitätsstandards halten oder verbessern zu können. Und dieses neue Geld, was durch das Jugendförder- und Beteiligungsgesetz kam, wurde aber, zumindest im Bezirk Neukölln, für die Mehrausgaben der vergangenen Jahre verbraucht. Es gab also keine Aufstockung und es ist nicht wirklich was passiert. Außer in Punkto Reisen, dafür gibt es jetzt mehr Geld, aber während Corona kann man ja nicht so gut reisen. Da liegt im Übrigen auch noch eine große Grenze: wenn es um Politik und Geld geht. Wir sind ja sehr stark von der Politik abhängig und das ist schwierig. Einerseits versuchen wir die Interessen, Bedarfe und Wünsche der Mädchen* zu vertreten, nach außen weiter zu geben und den Politiker*innen im Bezirk zu sagen „Guckt mal: das und das benötigt es für die Mädchen*arbeit“ und das heißt aber auch, dass wir viel einstecken müssen. Wenn die Politiker*innen gerade keine Lust haben Geld weiterzugeben oder auch nicht können, oder durch die hohen Corona – Ausgaben wieder Kürzungen drohen, dann können wir nicht so viel machen. Eine weitere Grenze sehe ich inhaltlich, wenn es um Schutzfälle geht. Das bedeutet wir können in der offenen Kinder- und Jugendarbeit nur bis zu einem bestimmten Punkt begleiten und müssen dann auch loslassen, und das finden wir manchmal schon sehr, sehr schwer. Vor allem wenn es Besucherinnen sind, die wir schon jahrelang begleiten und vielleicht schon im Vorfeld jahrelang wussten – ok, hier könnte es irgendwann mal brenzlich werden. Zum Beispiel, das Mädchen* steht dann irgendwann da und sagt „ich möchte nicht mehr nach Hause. Jetzt ist es so weit, nehmt mich hier raus.“ Wir setzen dann alles in Gang. Dann loslassen müssen, das ist schon sehr schwierig. Das ist auf jeden Fall ein Punkt, wo ich sage „hier ist die Grenze, hier können wir nicht weiter.“ Wie kann man sich deiner Meinung nach am besten einsetzten? Wenn ich dazu sage „Folge deinem Herzen“, dann mein ich das auch so. Es gibt in Berlin verschiedene Möglichkeiten sich einzusetzen. Es gibt verschiedene Vereine, Initiativen, es gibt ja auch parteiunabhängige Politgruppen – man findet immer eine Möglichkeit sich einzusetzen. Ich glaube nur, dass das Wichtigste dabei ist, dass man sich selbst treu bleibt und seiner Meinung treu bleibt. Und vor allem - das merke ich immer wieder in Gremien im Bezirk, also nicht nur in der Mädchen*arbeit, sondern bei erwachsenen Frauen* - dass die sich nicht trauen ihre Meinung zu sagen. Ich glaube, wenn du dich engagieren willst, ist das Wichtigste dabei, immer die eigene Meinung zu äußern und die Stimme zu erheben und wirklich präsent zu sein. Und ich glaube, das können Männer so gut. Die nehmen den Raum ein, allein schon in der Art und Weise, wie sie sich hinsetzen, und sind präsent im Raum. Und ich glaube, das ist etwas, was uns abtrainiert wurde von Generation zu Generation und das müssen wir uns unbedingt wieder aneignen. 10.06.2021


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